Mein wahres Leben: Das Outing

Das Outing

August 2010 auf Arbeit
(dort noch ungeoutet)
einen Monat nach meinem
Outing zu Hause
Im Juli 2010 habe ich einfach den Druck nicht mehr ausgehalten.
An einem Abend habe ich meiner Frau gestanden, dass ich mich innerlich als Frau fühle. Anfänglich hat sie es ganz gut aufgenommen und zu mir gesagt, sie würde auch zu mir halten, wenn ich mich operieren lasse.
Die nächsten Tage danach war sie verzweifelt und hat gesagt, dass sie die Frau in mir hasst. Die folgenden 2 bis 3 Wochen haben wir beide viel geweint und ich dachte oft, es ist alles vorbei. Meine Frau sagte mehrmals zu mir, dass es wohl das Beste wäre, wenn wir uns trennen. Sie kann so nicht leben.
Aber langsam beruhigte sich alles und sie sagte mir, dass sie ohne mich nicht leben kann. In den nächsten Wochen und Monaten gab es zwar immer wieder ähnliche Situationen, aber die Heftigkeit nahm ab und die Abstände wurden größer. Schon nach ca. 3 Wochen habe ich mit ihr wieder zusammen Damensachen und Kosmetik gekauft.
Nun wusste meine Frau, dass das alles nicht nur ein Fetisch war.
Jetzt konnte ich auch noch die letzten Sachen kaufen, die mir noch fehlten: Schuhe, Perücken und ein Paar Silikonbrüste. Von den Brüsten war meine Frau aber überhaupt nicht begeistert. Im Gegenteil, Sie sagte, „das ist ja ekelhaft; in Zukunft brauchst Du ja meine nicht mehr anfassen, du hast ja selber welche“. Aber auch daran hat sie sich schnell gewöhnt.

Ich habe das Gefühl gehabt, dass meine Frau fast alles toleriert hat – ja sogar mir geholfen hat, solange es in den eigenen vier Wänden ist.

Jetzt war ich zumindest zu Hause öfters komplett Frau, inklusive dem vollen Schminkprogramm. Meine Fußnägel sind seit dem immer rot lackiert.
Damals hoffte ich noch, dass es mir vielleicht reichen wird, ab und zu „Frau“ zu sein.

Jetzt, nach meinen Outing weiß ich erst richtig, dass meine Frau mich unendlich lieb haben muss. Ihre größte Sorge war, dass jemand etwas davon mitbekommt.

Vor meinem Outing habe ich jahrelang meine Brust haarfrei gehalten – mit Rasur oder Haarentfernungscreme. Danach habe ich mir 2 Epilierer zugelegt.
Epiliert habe ich fast alles, sogar meinen Bart bis März 2011, dann nicht mehr, um auf eine IPL vorbereitet zu sein. Die dicken Stoppeln waren am Anfang auch sehr schmerzhaft und ich habe ca. eine Woche gebraucht, bis ich mit 1x das ganze Gesicht geschafft hatte. Die ersten 2 – 3 Wochen habe ich das 2x pro Tag gemacht, dann 1x und nach 2 Monaten nur noch alle 2 Tage. Als einzige Problemzone schien sich der Wangenbereich herauszustellen. Da bilden sich ein paar Pickel, aber es hielt sich in Grenzen. Ich habe diesen Bereich ab und zu ausgelassen, da dort der Haarwuchs ohnehin nicht sehr groß ist.

Ab und zu bin ich als Andrea mit meiner Frau und unserem Hund in den Wald gefahren. Die auffälligsten Teile (Perücke, Kleid oder Rock) habe ich aber erst im Wald angezogen, da ich so zu Hause nicht ungesehen herausgekommen bin und die Nachbarn durften ja nichts mitbekommen.
Einmal wäre mir beinahe bei dem Umziehen noch ein Missgeschick passiert. Das Auto habe ich schon vor dem Umziehen verriegelt. Gerade in letzter Sekunde, als ich die letzte Tür zuwerfen wollte, fiel mir ein, dass der Autoschlüssel noch in der Hose ist. Ansonsten hätte ich „en femme“ und ohne Handy Hilfe holen müssen. Meine Frau hätte ich auch schlecht vorschieben können, da sie keine Fahrerlaubnis besitzt.

Oktober 2010 - 
ich fange an, als Frau zu leben
Anfang September 2010 ist meine Schwägerin zu uns ins Haus gezogen, da sie sich von ihrem Mann getrennt hatte und die Dachwohnung frei geworden war, da unser Sohn zusammen mit seiner Freundin eine eigene Wohnung genommen hatte.
Nachdem mich meine Schwägerin mehrmals fast erwischt hat, habe ich Mitte Oktober 2010 allen Mut zusammengenommen, Kleid über, Silikonbrüste rein, Perücke auf, Pumps an und hoch zu meiner Schwägerin.
Sie hat es erstaunlich gut aufgenommen, als ob das das Normalste der Welt ist.
Jetzt brauchte ich mich wenigstens nicht mehr zu Hause verstecken. Ich war froh, dass es raus war.

So nach und nach erfuhren es mehre Personen, z. B. meine Nichte und die eine Freundin meiner Frau und ihr Freund.
Mein Sohn hat mich eines Morgens im Kleid erwischt. Da er noch einen Schlüssel hat, stand er plötzlich in der Küche vor mir. Aber er sagte nur „Oh“ und redete dann ganz normal mit mir weiter, ohne eine Frage zu stellen.

Durch eine Spendenaktion in einem Forum im Internet hatte ich ein Hermespaket mit ein paar Sachen fertig gemacht. Als Absender habe ich Andrea Süßenguth angegeben. Da ich aber nicht mehr dazu gekommen bin, es an einem Sonnabend abzuschicken, hatte ich es in unseren Hauswirtschaftsraum gelegt.
Am Montagnachmittag, ich war noch auf Arbeit, kommt mein Sohn zu uns und meine Frau ist gerade in diesem Raum. Bevor meine Frau reagieren konnte, hatte er das Paket in der Hand und sagte, er nehme es gleich mit. Ich weiß nicht, wann er davor das letzte Mal diesen Raum betreten hat, zumal er ja nicht mehr bei uns wohnt.
Jedenfalls kam sofort die Frage: „Wer ist denn Andrea?“. Vor Schreck sagte meine Frau: „das ist ein Irrläufer.“. Hinterher wurde ihr bewusst, dass das nicht sein kann, weil Andrea ja im Absender stand. Aber auch hier kam keine Frage.
Meine Frau wollte, dass er nun auch endlich richtig Bescheid weiß und hat ihm ein Bild von Andrea gezeigt. Mit der Bemerkung, was Wolfgang da für einen „Mopp“ auf dem Kopf habe, kam wieder keine Reaktion von ihm, außer dass er plötzlich keine Zeit mehr hatte und sofort weg war. Eine Frage, warum Wolfgang eine Frau war, kam nicht. Ich habe das Gefühl, er will das verdrängen. Meine Frau hat es ihm dann direkt gesagt. Da kam nur die Bemerkung: „Mit 60 geht’s beim Alten jetzt wohl los!“

Meine ältere Tochter war seit Anfang November 2010 im Bundeswehreinsatz im Kosovo. Vor ihrer Abreise wollten wir sie nicht damit belasten. Ende März 2011, als sie wiederkam, haben wir dann ihr und ihrem Freund mein „anders sein“ beigebracht. Sie haben es sehr gut aufgenommen. Meine Tochter sagte: „Dann habe ich eben zwei Mamas!“.
Unsere jüngste Tochter lebt in der Nähe von Bielefeld. Sie kommt höchstens 3- bis 4-mal für 2 bis 3 Tage im Jahr mit ihrem Lebensgefährten zu uns. Weihnachten 2010 wollten wir ihr das beibringen. Aber es gab einfach nicht die richtige Gelegenheit. So wurde es März 2011. Aber auch sie und ihr Lebenspartner haben absolut keine Probleme damit.
Ich gehe aber davon aus, dass in der Zeit, wo ich nach außen noch nicht geoutet war, andere schon etwas geahnt haben oder in die falsche Richtung dachten (schwul), da die Kleidung, die ich oft auch als Mann trug, nicht unbedingt männlich wirkte. Einmal hat mich eine Arbeitskollegin daraufhin angesprochen. Ich trug ein türkisfarbenen Long-Pullover/Minikleid (ca.84 cm lang) über Hose. Sie sagte, dazu würde besser eine Legging passen. Ich antwortete, ich habe nur Strumpfhosen, die ich zu diesem Zeitpunkt wirklich trug.
Ich stellte mir oft die Frage: „Reicht es mir, nur ab und zu die Rolle als Frau zu leben? Oder will ich mehr, will ich vielleicht ganz Frau sein?“ Ich wusste nur, dass, was ich hatte, ist mir zuwenig. Ich wollte mich nicht mehr selbst belügen, ich wollte doch nur meine Gefühle, so wie sie sind, ausleben. Aber ich hatte Angst, dass mich meine Frau verlässt. Und ich liebe sie, Ich will ohne sie nicht leben. Aber ich kann auch ohne Andrea nicht mehr leben.
Anfang November 2010 war ich das 1. Mal als Andrea unter vielen Menschen, zum TG-Stammtisch in Wolfsburg in einer vollbesetzten Gaststätte. Ich fuhr mit meiner Schwägerin dorthin.
Es war ein interessanter Abend, sich mit anderen, denen es ähnlich geht wie mir, zu unterhalten. Es war auch das erste Mal, dass ich persönlichen Kontakt TG /TS gehabt hatte. Bisher passierte das nur über Foren im Internet.
In der vollen Gaststätte wurde ich, wie auch die Anderen, von keinem anderen Gast besonders beachtet. Auch nicht, auf dem Weg von und zum Auto.
Erstaunlich ist aber mal wieder die Feststellung, wie klein die Welt ist.
Ein TS war dabei, der bis vor einem Jahr in Halberstadt gewohnt hat (jetzt Braunschweig) und ich habe vor Jahren nur ca. 100 m von ihm gewohnt. Gekannt haben wir uns nicht, sind uns früher aber bestimmt öfters begegnet. Eine weitere TS aus Gifhorn kannte Arbeitskollegen von mir.

Ich war dann auch zu anderen Stammtischen, z. B. in Minden und zu einer Selbsthilfegruppe in Wernigerode.
Im Internet habe ich eine TS kennen gelernt, die in einen Jugendclub in Halberstadt arbeitet.
Nachdem wir mehrere Nachrichten ausgetauscht hatten, habe ich es nicht mehr ausgehalten, habe mich in Andrea verwandelt und bin dort Mitte November 2010  hingefahren.
Das Gefühl kann man nicht beschreiben. Es war eine Mischung aus Freude, endlich raus, und Angst, aufzufliegen (öffentlich, das 1. Mal in der eigenen Stadt) und das Risiko, vielleicht die Beziehung zu meiner Frau zu gefährden. Mein Herz hat geklopft.
Das gute Gefühl hat aber überwiegt. Nicht nur, das es keine Probleme mit den anderen Gästen gab , ich wurde voll als Frau akzeptiert. Es waren interessante Gespräche.
Das wiederholte ich dann öfters.
Aber wieder musste ich feststellen, wie klein die Welt ist. Bei der Unterhaltung im Club sagte plötzlich freudig eine junge Frau zu mir, dass sie schon von mir gehört hat. Es war die Tochter der TS, die ich in Wolfsburg kennen gelernt hatte. Weiterhin erfuhr ich, dass ihre Mutter eine Arbeitskollegin von mir ist. Ich wollte ihr erst sagen, Sie soll das ihrer Mutter (geschieden vom TS) auf keinen Fall von mir erzählen, aber dann hätte ich sie ja erst recht darauf aufmerksam gemacht.
Aber der „Buschfunk“ funktioniert gut. Als mein Sohn Anfang Januar 2011 Vater wurde, gratulierten mir Kolleginnen aus versehen zur „Oma“. Eine Kollegin korrigierte mich sogar, als ich sagte, ich bin Opa geworden und sagte: „Muss das nicht Oma heißen.“
Eine andere Kollegin, die meine Frau nicht kennt, fragte mich, ob ich noch mit meiner Frau zusammen bin. Eine vernünftige Antwort auf meine Frage, warum sie das fragt, habe ich nicht erhalten. Auch wurden mir auffällig viele Fragen gestellt, wie - wie es mir so geht.
Meine Kleidung und meine zwei Ohrringe werden auch ihren Teil beigetragen haben.
Bei meiner ehemaligen Chefin habe ich mich im Januar verplappert, dass ich TS bin. Sie hat es aber ausgesprochen positiv aufgenommen.
Auch sonst hatten zumindest andere einen Verdacht. Die Physiotherapeutin meiner Frau hat bei einer Behandlung gefragt, was mit mir los ist, weil ich 2 Ohrringe trage und mein Gang sich angeblich verändert haben soll.

Ab Herbst 2010 trage ich fast nur noch Damensachen. Wenn ich als „Mann“ unterwegs war (z. B. zur Arbeit) habe ich die Perücke und die Silikonbrüste weg gelassen und habe auch nicht zu feminine Sachen angezogen. Haare und Brüste sind es auch, durch die ich als Frau wahrgenommen werde. Ohne diese bin ich nur ein Mann, der sich feminin kleidet.

Anfang Dezember 2010 habe ich meiner Frau gesagt, dass ich den Wunsch habe, soviel Frau wie möglich zu sein.
Ich weiß, dass das ein langer und schwieriger Weg ist und noch einige Hürden zu nehmen sind.

8 Kommentare:

  1. Nur Mut liebe Andrea und liebe Gruesse von Herrn Willeke

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  2. hey du siehst als frau echt besser aus als auf dem foto als mann.
    sry wollte halt ehrlich sein xD

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    1. Hallo Andrea, deine Geschichte könnte auch meine Geschichte sein, was du so alles beschrieben hast ist auch meine Lebensgeschichte mit ein paar Unterschiede, ich war nie mit einer Frau zusammen, habe somit keine Familie da ich auch mehr auf Männer stehe.
      Ich wünsche dir in deinen weiterem Leben alles gute, vielleicht laufen wir uns mal über den Weg da ich manchmal in OWL unterwegs bin auch als Frau.
      Liebe Grüße
      Sandra

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    2. Hallo Sandra,

      ja, unsere Geschichten sind oft ähnlich.
      Ich wünsche Dir auch alles Gute.

      LG Andrea

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  3. Habe den Blog gerade gefunden und finde deine Geschichte echt interresant :3
    Viel Glück!
    Und bitte poste mehr! ^^

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  4. Hallöchen liebe Andrea,
    Kompliment, als frau siehst du wirklich besser aus als auf dem Foto als Mann ;-) :-)

    P.S. Muss doch gesagt werden :-)

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